Martin Pfister Antworten auf die Fragen an die Innerrhoder Nationalrats-Kandidaten im Appenzeller Volksfreund vom 3. Oktober 2015
Migration, Asylwesen, Integration – ein Dauerbrenner in der Schweiz. Sehen Sie Lösungsansätze, die ein geordnetes Nebeneinander im Inland möglich machen?
Martin Pfister: Die Schweiz hat eine lange Tradition im Miteinander von vier Landessprachen und verschiedenen Kulturen. Unser Konzept der Integration mit Fördern und Fordern bewährt sich. Nicht nur die Politik ist gefragt. Wichtig ist, dass sich auch Migranten um ihre Integration in unserer Gesellschaft bemühen. Unsere Dorfvereine, die Arbeitgeber und Sprachkurse leisten dabei einen weiteren grossen Beitrag. Auch die Arbeitsintegrationsprojekte im Asylzentrum Mettlen liefern beste Beispiele. Ich erlebe im Schulalltag, dass Jugendliche aus andern Kulturen, die hier aufwachsen, gute Berufsperspektiven haben und diese auch wahrnehmen. Wichtig ist, dass alle Menschen in unserem Land auf festem Boden stehen und auch am Arbeitsplatz Perspektiven haben. Deshalb braucht es eine weitsichtige Politik – wie zum Beispiel die Energiestrategie des Bundes. Damit schaffen wir lokale Arbeitsplätze im Bereich der Produktion neuer Energieträger oder der Wärmedämmung. So ermöglichen wir motivierten Arbeitnehmenden interessante Stellen und tragen zum Wohl unseres Landes wie auch zur Stärkung der Sozialwerke bei.
Flüchtlinge: Der Zustrom von Flüchtlingen überlastet die EU sichtlich. Wie soll sich die Schweiz verhalten in dieser Situation? Was muss die EU, was muss die Weltgemeinschaft leisten?
Martin Pfister: Die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingsströme ist eine Frage der Organisation und Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg. Die «Festung Europa» ist kein taugliches Konzept. Im Jahre 1999 – während dem Kosovokrieg – haben wir in unserem Land 50‘000 Flüchtlinge aufgenommen. Die Schweiz kann mehr. Zudem gilt es die Hilfe vor Ort in den Heimatländern der Flüchtlinge zu verstärken, um den Menschen im Schatten der Welt bessere Perspektiven zu ermöglichen. Es ist deshalb zynisch, dass der Nationalrat zusammen mit unserem Innerrhoder Vertreter in der vergangenen Session die Gelegenheit verpasst hat, die Nahrungsmittelspekulation zu stoppen. Spekulanten treiben auf den Finanzmärkten weiterhin die Nahrungsmittelpreise in die Höhe und bereichern sich auf Kosten der Ärmsten. Zudem noch dies: Wer Waffen sät, erntet Flüchtlinge. Es ist unakzeptabel, dass unser Land Waffen exportiert – u.a. an Staaten wie Saudi Arabien, das im Syrienkrieg involviert ist – und dass unsere Nationalbank Millionen in die Landminenproduktion investiert. Solche Signale sind in der aktuellen Krisenzeit empörend.
Bessere Rahmenbedingungen: Die Wirtschaft und vor allem unsere KMU beklagen sich oft über zu viele Regulierungen und Bürokratie. Wie liesse sich das Problem aus Ihrer Sicht lösen?
Martin Pfister: Heute wird immer mehr verwaltet statt gestaltet. Wir können zu weniger Bürokratie beitragen, wenn es uns gelingt, eines zurückzugewinnen: das Mass. Am Beispiel der Steuergesetzgebung sind diese Überregulierungen besonders deutlich festzustellen. Die breite Bevölkerung hat bei der Flut von Gesetzesparagraphen keinen Überblick mehr. Dies verleiht einem Heer von Steueranwälten und Spezialisten besondere Macht. Ich arbeite in einer überparteilichen Arbeitsgruppe mit, welche sich mit der Mikrosteuer – einem unkomplizierteren und gerechteren Steuersystem befasst. Die heutigen Steuern könnten durch eine einfache Abgabe auf jede elektronische Buchung ersetzt werden. Eine solche Mikrosteuer von 0,2 Prozent pro elektronische Zahlung würde mehr einbringen als alle heute in unserem Land erhobenen Steuern zusammen, weil auch die Finanzmärkte mit ihren unzähligen im Takt von Sekundenbruchteilen getätigten Buchungen besteuert würden. Davon würden die meisten Haushalte und viele Unternehmen profitieren. Der administrative Aufwand wäre wesentlich kleiner und zudem würden die Finanzmärkte gebändigt.
Braindrain und Fachkräftemangel: Immer mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte (namentlich Ärzte und Ingenieure) müssen im Ausland rekrutiert werden. Was wären taugliche Rezepte?
Martin Pfister: Es gilt die vorhandenen Ressourcen in unserem Land besser zu nutzen. Dazu müssen wir mehr Ausbildungsplätze für Ärztinnen und Ärzte schaffen und mit einer Lockerung der übertrieben hohen Messlatte beim Numerus Clausus mehr fähigen Interessentinnen und Interessenten den Zugang zum Arztstudium ermöglichen. Für die Ausbildung von zusätzlichen Ingenieurinnen und Ingenieuren ist es nicht notwendig, Anreize durch eine immer wieder geforderte Erhöhung der gymnasialen Maturaquoten zu schaffen. Wir müssen die Praxis stärken und junge Frauen und Männer für unser bewährtes duales Berufsbildungssystem gewinnen. Es bietet einerseits nach den Berufslehren gute Zugangsmöglichkeiten zu den Hochschulen und Fachhochschulen. Andererseits stärkt es den Werkplatz Schweiz mit seinen vielen Arbeitsplätzen.
Die Sorge um den Fortbestand der Sozialwerke beschäftigt uns alle. Welche Massnahmen würden Sie unterstützen? Wer muss – wenn überhaupt – die grossen Opfer bringen?
Martin Pfister: Die Altersvorsorge 2020 ist ein wichtiges Reformprojekt. Es beeinflusst das Leben aller, die heute im Rentenalter stehen, aber auch jener, die in Zukunft das Rentenalter erreichen werden. Ich stehe für höhere Altersrenten statt für ein höheres Rentenalter. Deshalb unterstütze ich die seit 20 Jahren erstmalige Erhöhung der AHV von monatlich 70 Franken bei Neurenten. Sie kommt vor allem Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu Gute, die keine Rente aus der Pensionskasse beziehen können. Die Finanzierung ist über eine kleine Lohnprozentanpassung und ein zusätzliches Mehrwertsteuerprozent gesichert. Ein Wochenendeinkauf von 100 Franken würde danach um 60 bis 80 Rappen teurer, was verkraftbar wäre. Die Mehrheit der Bevölkerung ist auf anständige Renten aus AHV und Pensionskasse angewiesen. Wenn für sie die Bilanz in der Endabrechnung stimmt, kann die Rentenreform an der Urne bestehen. Deshalb kämpfe ich gegen eine zu starke Senkung des Umwandlungssatzes bei der Pensionskasse und bei einer Anpassung des Frauenrentenalters an jenes der Männer für die Lohngleichheit von Mann und Frau.
Sozialwesen: Arbeitslose, Ausgesteuerte und zunehmend Bezüger von Ergänzungsleistungen belasten die Kassen. Welche Änderungen am System könnten eine Besserung bringen?
Martin Pfister: Ältere, erfahrene Arbeitnehmende werden oft unverschuldet durch jüngere und vor allem billigere Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt verdrängt. Im Jahr 2013 haben doppelt so viel Arbeitnehmende zwischen 55 und 64 Jahren ihre Stelle verloren wie im Jahr 2000. Ältere haben es besonders schwierig, wieder eine Stelle zu finden. Als Folge davon haben Betroffene Rentenkürzungen in Kauf zu nehmen oder landen gar ohne Perspektiven in der Altersarmut. Menschen, die mit ihrem Wissen und Können zum Fortschritt unseres Landes massgebend beigetragen haben, dürfen nicht zu Verlierern der globalisierten Arbeitsmärkte werden. Mit einem besseren Kündigungsschutz, vermehrter Weiterbildung und der Einführung einer Überbrückungsrente stoppen wir diese Entwicklung. Ein Solidaritätsbeitrag von Unternehmen mit unterdurchschnittlich wenig älteren Arbeitnehmenden könnte mithelfen, solche Massnahmen zu finanzieren. So wirken wir der Langzeitarbeitslosigkeit von Älteren und dem Fachkräftemangel in unserem Land entgegen. Dadurch werden auch die Kassen von Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen weniger belastet.
Bauboom: Immer mehr Menschen brauchen immer mehr Platz. Was ist zu tun, um der Bauwut entgegen zu wirken und die Spekulation mit Boden und Überbauungen zu unterbinden?
Martin Pfister: Der Boden ist ein wichtiges und knappes Gut, das, wo immer möglich, der Spekulation zu entziehen ist. Aktuell macht es der Innerrhoder Bauernverband im «Hoferbad» vor. Er übergibt dieses Areal dem Kanton im Baurecht. Eine aktive Bodenpolitik der öffentlichen Hand und die Abgabe von Land im Baurecht an gemeinnützige Wohnbauträger sind gute Investition in die Zukunft. So können attraktive Wohnmodelle mit bezahlbarem Wohnraum in Zentren geschaffen werden. Sie helfen, die andauernde Zersiedelung zu stoppen. Der Boden und dessen Erträge bleiben beim Volk und werden nicht der Immobilienfinanzbranche mit ihrer Gewinnoptimierung und andauernden Wohnkostensteigerung preisgegeben. Ich setze ich mich für eine Verschärfung der «Lex Koller» ein, die den Erwerb von Liegenschaften als Kapitalanlage für Ausländer zusätzlich einschränkt. Denn der Boden- und Immobilienmarkt verkommt immer mehr zur sicheren Geldanlage für ausländische Teilhaber an börsenkotierten Immobiliengesellschaften. Dieser Ausverkauf der Heimat muss gestoppt werden.
Die SVP betreibt Wahlkampf mit Schlagwörtern wie «Freiheit» und nimmt für sich in Anspruch, die einzige Partei zu sein, die diese garantieren kann. Was meinen Sie/Ihre Partei dazu?
Martin Pfister: Wir sind dann stark, wenn wir alle festen Boden unter den Füssen haben und über unser Leben frei bestimmen können. Es besteht jedoch die Gefahr, dass in unserem reichen Land die Zukunftsperspektiven vieler dem Profit einige weniger geopfert werden. Eine Clique von Superreichen und Neoliberalen hat sich zum Ziel gesetzt, unser Land zu demontieren. Geht es nach ihrem Willen, sollen Errungenschaften wie Freiheit, Wohlstand und Demokratie kein Menschenrecht, sondern ein Privileg der Meistbietenden sein. Die heutige Wirtschaftsordnung bevorzugt in beispielloser Art eine kleine Schicht von Leuten – nämlich die Besitzer grosser Kapitalvermögen. Finanzmärkte haben eine beunruhigende Grösse und intransparente Komplexität erreicht, die es ihnen ermöglicht, ihre Macht auf Kosten der Mehrheit unserer Bevölkerung auszubauen. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Deshalb kämpfen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für eine gerechte Gesellschaft mit sicheren Renten und fairen Löhnen, in der jeder Mensch – egal welcher Herkunft – ein selbstbestimmtes Leben führen kann.
Carte Blanche: Zu welchem nicht angesprochenen Thema, das Ihnen vordringlich erscheint, möchten Sie sich an dieser Stelle frei äussern?
Martin Pfister: Liebe Innerrhoderinnen, liebe Innerrhoder, in naher Zukunft stehen in unserem Land richtungsweisende Entscheidungen an: Können wir unsere Altersvorsorge reformieren und an neue Bedürfnisse und Lebensweisen anpassen? Setzen wir die Energiewende konsequent um? Können wir den Werkplatz Schweiz mit seinen vielen Arbeitsplätzen erhalten und weiterentwickeln oder wird er der anhaltenden Frankenüberbewertung und den hemmungslosen Finanzmärkten preisgegeben? Überwinden wir das aggressive Steuerdumping zugunsten der Konzerne, Grossbanken und Ultrareichen oder kommt es zu einem ernsthaften Abbau unserer Sozialwerke? Nimmt die Schweiz weiterhin am europäischen Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturraum teil?
Antworten auf diese Fragen hängen von den künftigen Mehrheiten im Parlament und Bundesrat ab. Die Wahlen vom 18. Oktober sind Richtungswahlen. Wir können über das politische Klima der nächsten Jahre entscheiden. Wenn der bürgerliche Block aus SVP, FDP und jenem Flügel der CVP, dem der amtierende Innerrhoder Nationalrat angehört, in Bundesbern die Mehrheit gewinnt, steht für Sie viel auf dem Spiel. Neue Milliardengeschenke an Unternehmen, ein Renten- und Sozialabbau, sowie eine Abkehr von der konsequenten Umsetzung der Energiewende sind die wahrscheinlichsten Szenarien. Dieser Weg führt in eine Sackgasse und in die soziale Kälte.
Dazu gibt es Alternativen. Ich kämpfe mit meiner Partei für eine Gesellschaft des sozialen Zusammenhalts und für eine offene, gerechte und ökologische Schweiz. Meine Wahlkampagne steht unter dem Titel «Die Schweiz kann mehr». Ich setze mich für eine Zukunft mit sicheren Renten, fairen Löhnen, einem verbesserten Kündigungsschutz und erneuerbaren Energien ein – damit Sie alle auf festem Boden stehen und über Ihre Lebensweise mitbestimmen können. Meine Kandidatur steht auch für eine bessere Verteilung der politischen Ämter statt für die aktuelle Kumulation von Macht und Interessen als Verwaltungsrat, Landammann und Nationalrat in Personalunion. So habe ich genügend Zeit für die parlamentarische Tätigkeit in Bern. Gerne nehme ich mir auch Zeit, mich mit Ihnen offen über politische Fragen auseinanderzusetzen und mich der öffentlichen Diskussion zu stellen.
Für diese Richtungswahl am 18. Oktober braucht es jede Stimme. Ich freue mich über Ihre Unterstützung und grüsse Sie freundlich
Martin Pfister