Antworten von Martin Pfister
im Appenzeller Volksfreund vom 3. Oktober 2019
Die Klimadiskussion dominiert in diesem Jahr nicht nur den Wahlkampf, sondern die Agenda der weltweiten Presselandschaft. Lippenbekenntnisse namhafter Politiker liegen vor – konkrete Schritte eher nicht. Was kann die Schweiz beitragen, um Klimaziele im Landesinnern zu erreichen? Soll sie den Klimanotstand ausrufen? Was werden Sie inhaltlich selber beitragen im Falle einer Wahl?
Während der Finanzkrise 2008 wurde die UBS per Notrecht mit 68 Milliarden Franken gerettet. Nun sind griffige Reformen zur Rettung des Klimas notwendig. Es braucht ein wirkungsvolles CO2-Gesetz mit einer Lenkungsabgabe von 12 Rappen pro Liter Benzin und Diesel, die effektiv lenkt. Diese wird allen Menschen – vom Säugling bis zum Pensionierten – zurückerstattet. Der Klima-«Marshallplan» der SP zeigt einen sozial verträglichen Weg für mehr Energieeffizienz und zur Förderung erneuerbarer Energien. 3 Milliarden Franken staatliche Impulse lösen private Investitionen von 9 Milliarden Franken aus. Dies entspricht dem Anteil an wirtschaftlicher Leistung beim Ausbau der Wasserkraft vor 50 Jahren.
Nach der Abschaltung der Atomkraftwerke wird in der Schweiz zu wenig elektrische Energie produziert. Gegenwärtig wird den CO2-Emissionen an allen Fronten der Kampf angesagt. Elektrizität wird als Allheilmittel gepriesen. Wie soll das gehen, wenn immer mehr Strom verbraucht wird? Von den Verschmutzungen im Hintergrund (Seltene Erden, Batterien usw.) spricht man zu wenig. Welche Alternativen bevorzugen Sie beim Umbau der Energieversorgung?
Klimapolitik ist auch Wirtschaftspolitik. Durch den Import von Erdöl und Gas fliessen jedes Jahr 12 Milliarden Franken an Wertschöpfung ab – zum Beispiel an Russland oder Saudi-Arabien. Mit diesen 12 Milliarden pro Jahr können wir die Energieversorgung in der Schweiz auf einheimische erneuerbare Energien umbauen. Dies schafft auch viele neue Arbeitsplätze für unsere lokalen KMU. Sonnenenergie und Wasserkraft decken im Sommer den Stromverbrauch. Wir können Engpässe im Winter mit Pumpspeicherseen und Windanlagen an günstigen Standorten wie in Oberegg überbrücken. Gebäudesanierungen bringen Ersparnisse beim Heizen und schweizweit bis zu einem Viertel weniger CO2-Emissionen.
Grossbritannien tut sich schwer mit dem Brexit. Die EU sperrt sich gegen Nachverhandlungen. Politiker halten fest, das Parlament in London wisse nicht, was es wirklich will. Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis der Schweiz zur EU. Das Rahmenabkommen liegt auf der langen Bank; die bilateralen Verträge werden aktiv hinterfragt und sind deshalb gefährdet; das Problem der Zuwanderung wird bewirtschaftet. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Zuerst gilt es, die Kündigungsinitiative zu bodigen. So sichern wir den erfolgreichen bilateralen Weg mit der EU, unserem wichtigsten Handelspartner. Das Rahmenabkommen entpolitisiert unser Verhältnis zur EU und schafft Rechtssicherheit. Politisch motivierte Nadelstiche seitens der EU wie die Kündigung der Börsenäquivalenz wären dann nicht mehr möglich. Im Konfliktfall entscheidet ein Schiedsgericht mit Beteiligung von Schweizer Richtern. Das Erfolgsrezept unseres Landes ist eine Öffnung zu Europa, begleitet von sozialen Massnahmen. Deshalb braucht es im Rahmenabkommen einen starken Schutz unserer Löhne, mit dem wir das Schweizer Lohnniveau gegen Dumpinglöhne verteidigen.
Das Gesundheitswesen ist im Umbruch. Lenkungsmassnahmen aus dem Bundeshaus scheinen am Ziel vorbeizuschiessen. Die Kosten steigen kontinuierlich, doch selbst grosse Spitäler schreiben rote Zahlen. Wie gross soll das Einzugsgebiet für Spitäler sein, welche die Grundversorgung gewährleisten? Welche Hebel werden Sie in Bewegung setzen?
Krankenkassenprämien werden zu einer immer grösseren finanziellen Belastung. Mit unnötigen Leistungen wird im Gesundheitswesen viel Geld verschleudert. In SG, AR und AI konkurrieren sich beispielsweise 15 Spitäler und Kliniken um Hüftimplantationen. Eine verbesserte Koordination spart Kosten. 11 von 25 Mitgliedern der Gesundheitskommission im Nationalrat sind mit der Gesundheitsindustrie verfilzt. Es braucht unabhängige Köpfe im Parlament, welche die Blockade lösen und Massnahmen für tiefere Gesundheitskosten treffen. Die nationale Volksinitiative der SP beschränkt die Krankenkassenprämien auf maximal 10 Prozent des Einkommens. Dies entlastet die unteren und mittleren Einkommen.
Die demografische Entwicklung zählt zu den grössten Sorgen der Schweizer Bevölkerung. Immer mehr Leute erreichen ein immer höheres Alter. Das hat Konsequenzen auf Heimplätze, Wohnungsbau und Sozialgefüge – mit Wirkung auf Versicherungen und die Staatskasse (Ergänzungsleistungen). Was ist zu tun?
Unser Rentensystem kommt allen zu Gute. Es garantiert ein würdiges Leben im Alter und entlastet auch die jüngere Generation. Sie kann davon ausgehen, dass ihre Eltern finanziell abgesichert sind. Deshalb müssen wir unser Rentenniveau verteidigen. Für Arbeitnehmende über 50 Jahre besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, ihre Stelle zu verlieren und in der Erwerbslosigkeit zu landen. Dadurch fehlen ihnen Lohnbeiträge in der Altersvorsorge, was zu Rentenkürzungen führt. Mit einem wirksamen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmende und gezielten Weiterbildungen bleiben diese Menschen im Arbeitsprozess. Unsere Sozialwerke werden nicht zusätzlich belastet.
Der öffentliche Verkehr verschlingt Milliarden und ist trotzdem am Limit. Projekte wie die «Swissmetro» (Magnetschwebebahn im Vakuumtunnel; zwölf Minuten für die Strecke Zürich – Bern) oder «Cargo Sous Terrain» für den unterirdischen Gütertransport sind angedacht. Soll sich der Staat engagieren, um auf diesem Weg den Verkehr auf der Strasse zu reduzieren? Wenn ja, sehen Sie Alternativen?
Für eine umweltfreundliche Verkehrspolitik muss in die Verlagerung auf die Schiene anstatt in sechsspurige Autobahnen investiert werden. Priorität haben der Unterhalt und massgeschneiderte Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Auch der Langsamverkehr muss gefördert werden. Er ist günstig und gesund. Dies sind zentrale Staatsaufgaben. Mit flexibleren Arbeitszeitmodellen können in Stosszeiten Staus auf Strassen und überfüllte Züge vermindert werden. Für ländliche Gebiete ist eine attraktive Anbindung an den öffentlichen Verkehr wichtig – zum Beispiel mit einem gut ausgebauten «PubliCar»- und Postautonetz. Sie verhindert die Abwanderung und fördert die Solidarität in unserem Land.
Appenzell, 25. September
Freundliche Grüsse
Martin Pfister